Es ist Donnerstag, der 21. August 2008. Der Tag ist sonnig und herrlich leicht. Ein guter Start für unser JuMuDia-Treffen. Ein weiteres Mal haben sich jugendliche Muslime und Juden aus ganz Deutschland getroffen, in der Hoffnung den gemeinsamen Dialog voranzutreiben. Nach langer Überlegung hat man sich auf die Stadt Gelsenkirchen als Treffpunkt geeinigt. In der Stadt im Ruhrgebiet war es nicht schwer Ansprechpartner beider Religionsgemeinschaften zu finden. Eine jüdische Gemeinde, mit einer weit zurück liegenden Geschichte, die wieder aufblüht und etwa 430 Gemeindemitglieder zählt. Sowie zahlreiche Moscheen, von der wir eine besucht haben, die unter dem Dachverband der DITIB steht (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion).
Das dreitägige Treffen beginnt an der jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen. Die Synagoge, die nur ein Jahr zuvor eingeweiht wurde, liegt mitten im Stadtzentrum. Die Außenmauer ziert ein Zitat aus dem Tanakh, der hebräischen Bibel: „Mein Haus ist ein Haus der Gebete aller Völker (Jesaja 56.7)“
Die Führung durch die Räumlichkeiten übernimmt die Vorsitzende der Gemeinde, Frau Judith Neuwald-Tasbach. Sie erzählt von dem jüdischen Leben in Gelsenkirchen vor der Schoah und wie es sich nach der Katastrophe entwickelte. Während die Gemeinde noch vor 15 Jahren auszusterben oder zu überalten drohte, ist sie in den vergangenen Jahren stark gewachsen, vor allem durch den Zuzug osteuropäischer Juden.
Heute steht die traditionell-orthodoxe Gemeinde in neuer Frische da. Die Architektur ist sehr modern, doch im Gebetsraum sitzen Frauen und Männer getrennt. Neben dem Toraschrank hängen zwei große David-Sterne aus hellem Holz an den Wänden. Wir erfahren viel über die Bemühungen der Gemeinde, ihren Mitgliedern mehr als nur eine Gebetsstätte zu sein. Es gibt drei Religionsklassen, eine Theaterschar, Kinderchor und je ein Frauen- und Männerverein. Vom Gebetsraum führt eine Treppe zum offenen Vorhof der Synagoge. Sie ist hell und einladend.
Gerade als man den neuesten Klatsch und Tratsch der jüdischen Gesellschaft in Deutschland austauschen will, bemerken wir, dass im Nebensaal eine Gruppe von Kindern Tanzunterricht hat. Die Kinder zwischen 7 und 10 Jahren sind leicht verwirrt über unser Interesse an ihrem Tanz, aber machen vergnügt weiter.
Mit diesem Eindruck verabschieden wir uns von der jüdischen Gemeinde und gehen einen guten türkischen Tee trinken. Nicht alle Teilnehmer kennen sich von früher. Man lernt sich kennen und es folgen interessante Gespräche. Ati, der später hinzukommt, erweiterte das Gespräch um ein tiefgründiges Thema. Es wird über den Sufismus geredet, eine mystische Ausrichtung des Islam; ähnlich der jüdischen Kabbala.
Unser Freitag ist vollgepackt mit Stationen, an Hand welcher wir den Dialog zwischen den verschiedenen Teilnehmer anregen wollen. Neben Rebekka aus Marl, Ilja aus Aachen, David aus Prag, Sebastian aus Bochum, Semjon aus Berlin, Ati und meiner Wenigkeit aus Duisburg, stoßen an diesem Tag Boubker aus Düsseldorf und Oleg aus Wuppertal auf unsere Gruppe.
Im Seminarraum des Migrantenzentrums der Gelsenkirchener AWO, erhalten wir von Herr Kubaç einen interessanten Vortrag über das Funktionieren des Zentrums und die Entwicklung der Migration nach Deutschland seit den 60er Jahren. Denn mit den Migranten kamen auch mehr oder weniger unbekannte Religionen nach Deutschland. Unter anderem der Islam.
Nach einem Mittagessen im Migrantenzentrum, hält Ilja während eines Spaziergangs einen Vortrag über die Geburt von Ishmael und Isaac aus jüdischer theologischer Sicht. Er hält also ein Schi’ur. Hier sind wir wieder an einem Punkt angelangt, wo es mehr bedarf als ein oberflächliches Interesse am Sein des anderen. Eine gemeinsame Geschichte, ja man könnte schon sagen, es gibt einen gemeinsamen Ursprung aus biblischer und koranischer Sicht. Die Geschichte von Abraham/Ibrahim und seinen beiden Söhnen nimmt eine, für den Dialog beider Religionen unentbehrliche, Schlüsselfunktion ein. Gerne hätten wir noch ausführlicher über dieses Thema gesprochen. Ein Ziel für das nächste Treffen.
Am Nachmittag trifft noch Ati zur Gruppe und Herr Kubaç begleitet uns zur örtlichen DITIB-Moschee, wo wir uns mit dem Vorbeter der Gemeinde, Herr Aydın, verabredet haben. Trotz den geringen Deutschkenntnissen Herr Aydıns, ist eine Verständigung zwischen ihm und den Teilnehmern möglich. An dieser Stelle möchten wir einen Dank an Herrn Kubaç entsenden, für seine spontane Simultanübersetzung.
Jeder der Teilnehmer stellt sich kurz vor und auch seine Wünsche und Ziele im Bezug auf diesen Dialog. Es ist erfreulich zu sehen, mit welchem Interesse Herr Aydın unsere Gruppe beobachtet. Seine offenen und hoffnungsvollen Worte nehmen uns in diesem Moment die Anspannung. Es folgt eine Frage und Antwort Runde bei türkischem Tee und Lokum. Als wir vertieft im Gespräch sitzen tritt ein gutgekleideter und –aussehender Herr mittleren Alters in den Raum. Der Hoca begrüßt ihn herzlich und erklärte dem verdutzt dreinblickenden Herrn diese ungewöhnliche Teerunde.
Er setzt sich zu uns und wir erfahren, dass es sich um den Präsidenten der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) handelt:
Herr Sadi Aslan – der die einzelnen Moscheen deutschlandweit besucht und gerade an diesem Tag auch in der Mimar Sinan Moschee in Gelsenkirchen Halt gemacht hat. Der von der Türkei entsandte Botschaftsrat und vierfache Familienvater spricht mehrere Sprachen, u. a. Arabisch, Englisch und Italienisch. Als Herr Aydın ihm näher führt, das Rebekka sephardische Jüdin ist, deren Wurzeln im alten Spanien liegen, nimmt er an, ihre Muttersprache sei Spanisch. Spontan fängt er an mit ihr Italienisch zu reden. Immerhin ähneln sich die südeuropäischen Sprachen. Der Versuch scheitert. Aber man einigt sich auf eine Sprache, die alle verstehen: Deutsch. Die geistreiche Aussage Rebekkas, viele Menschen würden sich trotz einer gemeinsamen Sprache nicht verstehen, erheiterte Herrn Aslan sichtlich.
Nachdem wir uns von den beiden Herren verabschieden, dürfen wir den Gebetsraum besichtigen. Obligatorisch für den Gebetsraum in einer Moschee, ist die nach Mekka ausgerichtete Gebetsnische. Der Raum ist mit bunt gemustertem Teppich ausgelegt und an den Wänden hängen verzierte Schriften der Namen Allahs und des Propheten Muhammed. Der Raum scheint eine Ruhe auszustrahlen und alle lassen diese Ruhe für eine Weile auf sich wirken.
Samstagvormittag in Gelsenkirchen, der Himmel ist grau. Der letzte Tag unseres Treffens ist da. Wir treffen uns mit zwei Vertretern eines Arbeitskreises bei der Partei „Die Grünen“. Merfin Demir und Hasret Karaçuban. Sie erzählen uns u. A. von sozialen Einrichtungen für muslimische Frauen und über Bemühungen die vielen haltlosen Moscheegemeinden in Deutschland unter einem Dach zusammenzubringen. Hasret erwähnt eine weitere Problematik im Bezug auf die Muslime in Deutschland: „Der Arbeitskreis Grüne MuslimInnen sieht die Notwendigkeit politische Themen, die Musliminnen und Muslime in Deutschland betreffen, in einem eigens hierfür geschaffenen Gremium bei Bündnis 90 /Die Grünen NRW zu diskutieren und Lösungsmöglichkeiten anzubieten. Bisher wurden diese Themen unter migrationspolitischen Gesichtspunkten betrachtet, was angesichts der Tatsache, dass es sich hier um ein religionspolitisches Thema handelt und Musliminnen und Muslime in Deutschland sich als deutsche Muslime verstehen, wenig sinnvoll ist.“ Auch die Grünen Muslime leisten ihren Beitrag zum Dialog und unterhalten regen Kontakt zum Arbeitskreis Jüdische Sozialdemokraten.
Nach einem gemeinsamen Mittagessen, was uns vom Migrantenzentrum kostenlos zur Verfügung gestellt wird, macht sich unsere Gruppe zusammen mit Merfin und Hasret auf den Weg zum Gelsenkirchener Bildungszentrum, wo uns die Vorsitzende des jüdischen Vereins KINOR Frau Elena Gubenko erwartet. Die erste Trägerin des Preises „Migradonna – der Preis der starken Frauen“ erzählt uns leidenschaftlich über die Schwierigkeiten, die sie bei ihrer ehrenamtlichen Migrations- und Integrationsarbeit begegnet, und informiert auch über die Aktivitäten des im bundesweiten Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ in 2006 ausgezeichneten Vereins. Von besonderem Interesse war für uns vom interreligiösen Sarah-Hagar-Tag zu erfahren, der in 2007 in Bochum für engagierte jüdische, muslimische und christliche Frauen organisiert war. Diese Aktion wurde unter anderen Aktivitäten von der Initiative „Sarah-Hagar im Ruhrgebiet“ veranstaltet. Frau Elena Gubenko ist eine der Gründerinnen dieses Projektes und gehört zur Initiativgruppe, wo sie und der jüdische Verein KINOR jüdische Frauen vertreten.
War unser Treffen also ein Erfolg?
Die Frage lasse ich für dieses Mal Semjon aus Berlin beantworten:
„Ich empfand das Treffen als sehr angenehm, weil es für mich eine seltene Gelegenheit darstellte, Juden wie Muslime privat zu erleben, mit ihnen zu diskutieren und sie von ihrer menschlichen Seite kennenzulernen. Obwohl teilweise Grenzen des Dialogs zum Vorschein kamen, habe ich meine Teilnahme zu keinem Zeitpunkt bereut. Die Veranstaltung bedeutete für mich einen Schritt auf dem langen Weg zu einer offeneren und toleranteren Person zu werden.“
Von Sümeyye
Ein großer Dank gilt den Sponsoren des Treffens, Herrn Yechiel Bar-Chaim vom Jewish Distribution Comittee und Rabbiner Baruch Rabinowitz aus Berlin für ihre finanzielle Unterstützung, mit der wir die Kosten für die Unterkunft der Teilnehmer vollständig rückerstatten konnten. Wir bedanken uns sehr herzlich bei Herrn Ayas, dem Integrationsbeauftragten der Stadt Gelsenkirchen und Herrn Kubaç vom Migrantenzentrum, für ihren Einsatz beim Bereitstellen von Seminarräumen und Speisen, sowie beim Kontaktknüpfen mit der DITIB-Gemeinde. Vergessen wollen wir auch nicht die anfängliche Hilfe von Frau Gubenko, die uns den Kontakt zu den Ansprechpartner in Gelsenkirchen vermittelt hat.